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Erzbischof Stefan Heße Erzbischof Stefan Heße 

Glaube in der Diaspora: Die volle Kraft des Christlichen

Er ist der Bischof einer Gegend, die noch nie den Ruf hatte, die katholischste Deutschlands zu sein: Stefan Heße ist seit 2015 Erzbischof des flächenmäßig größten Bistums Deutschlands, des Erzbistums Hamburg. Er selber bringt aber einen in der Wolle gefärbten Volks-Katholizismus mit, geboren und aufgewachsen in Köln ist er sozusagen Teil beider Welten. Da ist zum einen eine traditionelle Kirche, die kleiner wird, eine Volkskirche, die abnimmt. Und da ist die Kirche im Norden, wo es das alles schon längst nicht mehr gibt, wenn es überhaupt jemals da war.

Bernd Hagenkord SJ - Cittá del Vaticano

Erzbischof Heße blickt im Interview auf eine entchristlichte Mehrheit in der Großstadt Hamburg und in Mecklenburg und Schlewsig-Holstein, die sein Bistum bilden. Oft heißt es in den Debatten um die Zukunft der Kirche, dass was im Norden Europas begonnen habe mittelfristig die Zukunft aller deutschsprachigen Bistümer sei. Gegen den Ausdruck Avantgarde-Bistum wehrt sich Stefan Heße, eine Nasenläge voraus könnte man allerdings schon sein. „Ich habe den Eindruck, dass jetzt in Hamburg schon etwas da ist, was in anderen Diözesen so oder so ähnlich noch kommt“.

Immer wieder geht er im Gespräch auf seine Prägung in Köln ein, also einem klassischen und großen und wohlhabenden Bistum, zuletzt war er dort Generalvikar. Was man jetzt im Norden „wie im Brennglas“ sehen könne, das werde es so oder so ähnlich auch woanders, etwa in Köln oder auch in Bayern, kommen sehen.

„Ich erlebe eine Stadt und einen Landstrich, in dem Gott nicht die erste wenn überhaupt eine Rolle spielt“, fasst er den säkularen Norden zusammen. Der Auftrag der Kirche sei nun, den Menschen nun Gott nicht „einzureden“, sondern den zuzulassen, der in diesen säkularen Menschen da sei, „das ist schon eine besondere Herausforderung“. Wieder der Rückgriff auf die Heimat: Im Rheinland werde vieles noch voraus gesetzt, aber es bröckele oder sei schon hohl und Fassade. Im Norden sei der vielzitierte Satz, die Volkskirche gehe zu Ende, schon Wirklichkeit, da gelte es, ehrlicher zu sein. „Ich glaube, dass wir uns als Kirche noch viel vormachen. Refrainartig und Stereotyp sagen wir zwar oft, dass die Volkskirche vorbei ist, aber was das bedeutet, wenn Volkskirche vorbei ist, da machen wir uns noch viele Illusionen und wünschen eigentlich, es wäre doch noch irgendwie eine Volkskirche.“ In Hamburg sei man schon näher dran an dieser Ehrlichkeit und das scheine ihm eine große Chance zu sein.

„Ich habe den Eindruck, dass jetzt in Hamburg schon etwas da ist, was in anderen Diözesen so oder so ähnlich noch kommt“

Ein Teil der Chance: die überwiegende Mehrheit, also die Nichtchristen, seien keine beinharten Atheisten, man arbeite sich nicht mehr an der Kirche ab. Er selber erlebe bei seinen Besuchen „eine Portion Neugierde, eine Portion Offenheit.“ Er erlebe eine Aufgeschlossenheit, die gestrigen Kirchenbilder von wegen ‚das ist ja zum katholisch werden‘ seien weitgehend weg. „Dieses Interesse müssen wir nutzen.“

Ganz einfach ist das nicht, er selber – wieder ganz der Rheinländer – trauere auch manchmal den vermeintlich besseren Zeiten hinterher, er fühle sich herausgenommen aus dem, wohin er geboren wurde und wo er zwanzig Jahre als Priester gearbeitet habe. „Ich muss gestehen, dass es sowas wie Trauer gibt, es gibt manchmal auch so etwas wie Zorn oder Wut oder ich fühle mit den Propheten des Alten Testaments die sagen ‚wie konntest du mir das antun?‘. Das flackert schon mal auf. Ich bemühe mich aber, die Chancen darin zu sehen“: Viel menschlicher kann man den Abschied von der Volkskirche kaum beschreiben, Bischof Heße hat in seiner Biographie den Schritt gemacht, den die ganze Kirche allmählich auch machen muss, scheint es.

Er ist aber auch ein Zeuge dafür, dass man sich in der neuen Welt der Kirche wohl fühlen kann, jedenfalls macht Heße im Gespräch ganz den Eindruck. Womit wir zur zweiten Chance kommen, die Heße mit Blick auf sein Bistum nennt: „Es ist ein Vorteil, dass wir nicht das ganze Drumherum – sage ich mal – also die ganze Struktur haben, die Strukturen bei uns sind klein. Das hat etwas Entlastendes. Ich glaube, dass das wahrscheinlich auch noch kleiner wird und ich lebe von der Überzeugung, dass Kirche überhaupt nicht zuerst in Strukturen existiert.“ Zuerst sei das die Begegnung mit Gott und Menschen, die Kirche ausmache, und dann seien da Ereignisse, bei denen genau das zu spüren sei, „und dazu braucht man eigentlich ziemlich wenig an Struktur und ziemlich wenig an Immobilien.“

„Ich muss gestehen, dass es sowas wie Trauer gibt, es gibt manchmal auch so etwas wie Zorn oder Wut oder ich fühle mit den Propheten des Alten Testaments die sagen ‚wie konntest du mir das antun?‘. Das flackert schon mal auf. Ich bemühe mich aber, die Chancen darin zu sehen“

Auf die Frage, ob das etwas Befreiendes habe, kommt ein spontanes „ja, natürlich“. „Ich habe den Eindruck, dass die großen Apparate und die Strukturen, die wir mit herumschleppen, auch ein ziemlich starker Ballast sind.“  Man sei vielleicht freier und habe vielleicht einen direkteren Zugang zu dem, der eingeladen habe, nichts auf den Weg mitzunehmen, wenn das alles nicht mehr so schwer sei. Geistliche Erfahrungen machen und in den Gemeinden Orte gemeinsamen geistlichen Lebens haben, das sei seine Vision von Kirche.

Und dann spricht wieder der Rheinländer, bei ihm schwanke das immer noch, sagt Heße, denn seine Prägung sei eben seine Prägung. Und da spricht er sicherlich für viele Katholikinnen und Katholiken. Wenn man von den Vorstellungen, die in den persönlichen Prägungen mitgetragen werden und die sich in den Strukturen ausdrücken, Abschied nehme, dann sehe man, dass alles weniger werde. „Das bedeutet aber nicht, dass bei dem wenigen nicht die volle Kraft des Christlichen drin wäre“, im Gegenteil. Gott berufe auch heute noch Christen, welche durch ihren Glauben die Welt verändern könnten, davon sei er überzeugt. Auch in der Diaspora. Auch in Hamburg. Und dann habe Kirche eine Zukunft.

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15. Oktober 2017, 22:53