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Blick auf Jerusalem Blick auf Jerusalem  

Volontär in Israel: Die kleinen Momente schenken Kraft

Nach dem Abitur erst einmal entspannen? Für Linus Darimond hieß es seit dem vergangenen Jahr das genaue Gegenteil – hart arbeiten unter körperlicher und psychischer Belastung. Als Freiwilliger im „French Hospital“ in Jerusalem hat er eine faszinierende Stadt und einen einzigartigen Arbeitsort gewählt.

Bernadette Weimer - Vatikanstadt 

Wer hier arbeitet, darf nicht zimperlich sein, muss anpacken können, aber auch Empathie zeigen. Das „French Hospital“ liegt vor den Mauern der Altstadt Jerusalems. Ein Krankenhaus ist die Einrichtung nur noch dem Namen nach, heute ist sie Hospiz- und Pflegeheim, unter anderem mit Wachkoma- und Schlaganfallpatienten. Der 19-jährige arbeitet dort seit fast einem Jahr – vor allem der Schichtdienst zehre an einem, erklärt er.

„Wir haben Acht-Stunden-Schichten, die immer besetzt sein müssen. Wir haben die Frühschicht, die geht von 7 – 15 Uhr, die Spätschicht von 15 – 23 Uhr und die Nachtschicht von 23 – 7 Uhr. In der Frühschicht waschen und duschen wir die Patienten. Dann werden einige in den Rollstuhl gesetzt, weil sie gemeinsam im Dining Room frühstücken. Da geht es natürlich auch darum, das Essen anzureichen, beim Frühstücken zu helfen. Es gibt auch einige Patienten, die nicht mehr mobil sind - wir wissen nicht, was und wie viel sie noch mitbekommen. Aber sie werden genauso gewaschen, geduscht und gepflegt, wie alle anderen. Bei diesen Patienten geht es darum, dass wir auch die Position, wie sie im Bett liegen, verändern, sodass keine Liegewunden entstehen“.

 

Eine multinationale und multireligiöse Einrichtung

 

Im French Hospital werden jüdische, christliche und muslimische Patienten behandelt, Israelis und Palästinenser. Die tiefen Zerwürfnisse zwischen diesen Religionen und Gruppen brechen sich in Jerusalem regelmäßig Bahn. Im French Hospital funktioniert ein friedliches Zusammenleben, auch weil die Traditionen der Gruppen Beachtung finden: Es wird neben Englisch auch Hebräisch, Arabisch, Französisch, Russisch und Deutsch gesprochen. Außerdem gibt es ein Zertifikat für „koshere Küche“, die den jüdischen und muslimischen Speisegesetzen entspricht. Trotzdem gelte der Grundsatz, dass Politik und Religion nicht an den Arbeitsplatz gehören.

Hier zum Nachhören

„Die Probleme, die es sonst in Israel und Jerusalem gibt, werden hier ein Stück weit ausgeblendet, sie sind kein großes Thema. In diesem Stadium, in dieser Zeit ist etwas Anderes wichtig. Ich glaube, überall, wo man mit Menschen zusammenarbeitet, kriegt man ganz schnell raus, dass jeder Mensch etwas Besonderes hat. Auch, dass hier so viele junge Volontäre mit so vielen alten Leuten zusammenarbeiten – die haben einfach schon ganz viel erlebt in ihrem Leben, einige können davon auch erzählen. Das ist ein ganz besonderer Austausch“.

Begegnung über Sprachbarrieren und kulturelle Unterschiede hinweg - Linus Darimond lehrt es, dass jeder Mensch etwas Besonderes ist und die Hilfe bekommen sollte, die er braucht. 

 

Es gibt keine Unterschiede zwischen den Patienten 

 

„Die Patienten verbindet erst mal, dass ihnen unabhängig von Herkunft und Religion geholfen wird. Zwischen den Menschen gibt es keine Unterschiede. Sie sind alle auf die Hilfe anderer angewiesen und erkennen, dass jeder in ihre Situation hätte kommen können – ob religiös oder nicht-religiös. Mit den Mitarbeitern verbindet uns, dass alle freundliche und offenherzige Menschen sind. Sie arbeiten gerne mit uns zusammen“.

Gerade sie seien Vorbilder in der Pflege: Viele der Arbeiter kämen aus der Westbank über Checkpoints nach Jerusalem, jeden Tag aufs Neue. Sie bräuchten das Geld – so Darimond - arbeiteten aber auch mit viel Herzblut, Ruhe und Offenheit.

 

Arbeit am Nächsten ist auch ein christliches Zeugnis 


„Diese ganz konkrete Hilfe am Nächsten ist natürlich ein Stück weit ein Zeugnis. Und man kann das sicher aus einem christlichen Hintergrund heraus tun, aber das muss nicht unbedingt sein. Jemandem helfen zu wollen, muss nicht unbedingt aus einem religiösen Antrieb, einem christlichen Antrieb heraus passieren. Bei mir persönlich ist es ein religiöser Antrieb: Ich kann hier wirklich den Menschen helfen. Das ist das, was bei der Arbeit erfüllt. Es sind die kleinen Momente, die viel Mut und Kraft geben und einem ganz viel Freude geben“.

Deswegen herrsche grundsätzlich eine lebendige Atmosphäre im French Hospital – auch, wenn es ein Ort ist, wo Leben und Tod nahe beieinander liegen.

 

Der Tod kann auch Erlösung sein 


„Mein eindrücklichstes Erlebnis hatte ich durch einen Patienten hier im French Hospital. Der lag schon länger hier im Krankenhaus, als ich auf der Welt bin – schon 21 Jahre. In der Zeit, in der ich da war, ist er gestorben. Es war so verrückt, zu sehen: Tagtäglich wurden bei dem Patienten die Position gewechselt, die Windeln gewechselt. Es gibt da bestimmte rechtliche Vorschriften: Wenn dieser Patient im Beisein eines Pflegers gestorben wäre, hätten man noch versuchen müssen, ihn wiederzubeleben. Das war für mich – ich möchte jetzt nicht sagen Schock – ein Moment, in dem ich dachte: „Wow! Der liegt jetzt schon 21 Jahre hier und durfte jetzt endlich gehen“. Wenn er das nicht in einem passenden Moment gemacht hätte, hätte er noch wiederbelebt werden müssen“.

Mitte August kehrt Darimond wieder nach Deutschland zurück - die Zeit in Jerusalem wird er allerdings so schnell nicht vergessen. 

 

Jerusalem ist eine verrückte Stadt 

 

„Die Stadt ist verrückt, die Stadt ist kompliziert. Ich bin unheimlich froh, dass ich die Stadt ein bisschen kennenlernen durfte, hier sein und leben durfte, nicht als Tourist. Es ist ein ganz anderer Einblick. Es ist etwas ganz Besonderes im French Hospital zu leben. Viel besser kann man nicht wohnen. Wir wohnen vor den Toren der Altstadt. Wir haben es nicht weit zur Neustadt, wir haben es aber auch nicht weit nach Ostjerusalem. Wir leben mittendrin“.

Nicht nur seine Umgebung wird Darimond vermissen. Vor allem die Menschen, die er kennengelernt hat, seien ihm besonders ans Herz gewachsen.

„Ich bin unheimlich froh, dass ich diese Erfahrung im French Hospital machen durfte, dass ich das erste Mal das Arbeitsleben kennenlernen dürfen. Es war sicher nicht immer leicht, auch die Schichtarbeit zehrt an einem. Was ich mitnehmen werde und hoffe, auch beizubehalten, ist die Offenheit und Freundlichkeit, die man hier von vielen Menschen erfährt. Ich möchte das weitergeben und leben und in Deutschland etablieren“.

Zurück in seiner Heimat wird Linus Darimond eine Ausbildung in einem Hotel beginnen. Mit den Menschen und für die Menschen da zu sein – das sei seine Bestimmung.

(vatican news)

 

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28. Juli 2018, 10:18