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Menschen in der Zeit: Klaus-Dieter Lehmann, Goethe-Institut

„Goethe" ist nicht nur Kultur, sondern auch Bildung. Das betont im Gespräch mit Radio Vatikan der langjährige und bis 2020 wiedergewählte Präsident des Goethe-Institutes, Klaus-Dieter Lehmann. Das renommierte Institut ist eine weltweit tätige Kultureinrichtung der Bundesrepublik Deutschland. Mit 160 Instituten in 98 Ländern fördert es die Kenntnis der deutschen Sprache im Ausland, pflegt die internationale kulturelle Zusammenarbeit und vermittelt ein aktuelles Deutschlandbild. Aldo Parmeggiani sprach mit ihm in der Sonntagssendung „Menschen in der Zeit“ vom 12. November.

von Anne Preckel

RV: Herr Professor Lehmann, seit vielen Jahren prägen Sie Deutschlands Kultur. Sie vereinigten Bibliotheken aus Ost- und Westdeutschland, Sie wurden Bauherr der Berliner Museumsinsel. Sie verwalteten den unschätzbaren preußischen Kulturbesitz, Deutschlands größte Kultureinrichtung. Jetzt sind Sie seit 2008 bis 2020 Chef des Goethe-Instituts. Wenn Sie die Mannigfaltigkeit Ihrer Tätigkeit durch ein Sieb rinnen ließen, was würde sich da als verfeinertes Produkt präsentieren?

Lehmann: Für mich ist die Kultur eine Essenz, die mein ganzes Leben bestimmt hat, weil ich persönlich glaube, dass über die kulturellen Möglichkeiten sehr viele Prozesse eingeleitet werden können und Alternativen entdeckt werden können. Kultur ist nicht nur Ästhetik, Kultur ist ein Fundament unserer Gesellschaft. Und das in den verschiedenen Zusammenhängen, im Museumsbereich, im Bibliotheksbereich, in der kulturellen Ausübung des Goethe-Instituts zu leisten, ist für mich ein roter Faden, der sich durch mein ganzes Leben zieht.

RV: Sie haben die Leitung des Goethe-Instituts übernommen, als bereits die Globalisierung und das Internet in vollem Gange waren. Dabei standen Afrika, China und Russland im Mittelpunkt des Netzwerkes der 160 Goethe-Institute in über 100 Ländern der Welt. Wo liegen denn die Schwerpunkte Ihrer Kulturpolitik? Gibt es einen gemeinsamen Nenner?

Lehmann: Wir haben zunächst einmal im Vergleich zu anderen Ländern eine ganz eigene Vorgehensweise. Wir sind in der Regel immer interessiert, in den jeweiligen Gastländern partizipativ zu arbeiten. Das bedeutet, wir sind nicht Exporteure einer Kultur, sondern zeigen unsere Kultur in dem Sinne, dass wir damit auch eine Öffnung für eine gemeinsame Weiterarbeit bewirken, also gemeinsame Co-Produktionen. Wir wollen auch Partnerschaften deshalb etablieren, weil wir glauben, dass eine einseitige Form der kulturellen Dialoge uns nicht weiterbringt. Stattdessen wird wirklich eine Lerngemeinschaft gebildet und nicht doziert. Das ist das Grundprinzip der Goethe-Institute in der ganzen Welt. Das zweite, das wir deutlich gemacht haben: Wir sind nicht zentralistisch organisiert, sondern dezentral. Das heißt, die Verantwortung ist ganz nah an den Problemen und den Erwartungen der jeweiligen Länder, sodass sich unsere Arbeit in Südamerika von der in Nordamerika oder in Afrika oder in Asien unterscheidet. Nah an den Problemen und Möglichkeiten und Erwartungen deckungsgleich machen.

RV: Welcher Eigenschaften bedarf es denn unbedingt zum Gelingen Ihrer internationalen Aufgaben? Ist es das systematische Denken eines Managers, ist es die Ordnungsliebe eines Archivars oder ist es die Leidenschaft eines Kulturbotschafters?
 
Lehmann: Es sind zwei Dinge, die man beachten muss: Zum einen ist es sicher so, dass man eine hohe Glaubwürdigkeit haben muss. Im Kulturbereich darf man nicht der Gefahr verfallen, dass man aus Kultur Propaganda macht. Kultur muss ein eigenständiger Wert sein und dazu gehört Unabhängigkeit der kuratorischen Arbeit. Das Zweite: In den Gastländern, gerade in den schwierigen Gastländern zu arbeiten darf nicht auf eine tagespolitische Situation reduziert werden. Es muss auch eine gewisse Planungssicherheit sein. Das heißt, wenn wir in einem Land sind und eine Beziehung aufbauen, muss man auch vertrauen können, dass diese Beziehung am nächsten Tag nicht wieder verschwunden ist, sondern dass es eine Angelegenheit ist, die auch Dauerhaftigkeit verspricht. Leute verlassen sich auf diese gemeinsamen Ziele und deshalb ist es notwendig, diese Verlässlichkeit auch wirklich zu vermitteln. Die Inhalte sind natürlich klar: es ist die Ästhetik, es ist die großartige Möglichkeit, die Kultur als einen wirklichen Teil unserer Gesellschaft zu erkennen. Und es ist auch notwendig, die Dialogfähigkeit des Einen und des Anderen zu sehen, also nicht zu vermischen, sondern durchaus die Profilierung in dieser Weise zu leisten, mitteilsam und offen zu sein.

RV: Von Goethe stammt das Wort: „Vergleiche dich! Erkenne, was du bist!“ Daraus spricht die Einsicht, dass man seine eigene Weltanschauung am besten begreift, wenn man sie mit dem Denken eines anderen Volkes vergleicht. Kann das auch als Missionierung westlicher Werte missverstanden werden?

Lehmann: Also die Arbeit des Goethe-Instituts ist keine missionarische Arbeit. Die Goethe-Institute sind aber mit einer eigenen Position sichtbar in ihrem Profil und laden ein, dieses Profil mit den anderen zu besprechen und auszutauschen. Kultur ist von Natur aus nicht unbedingt friedensstiftend, sie ist dann friedensstiftend, wenn man das eine oder das andere ins Gespräch bringt und die Unterschiede toleriert, aber auch die Gemeinsamkeiten entdeckt.

RV: Die Kulturarbeit ist das eine, die Spracharbeit das andere Standbein der Goethe-Institute. Wie groß ist im Ausland heute im Zeitalter der Globalisierung das Interesse, Deutsch zu sprechen?

Lehmann: Es ist ein wachsendes Interesse. Wir sind selber erstaunt, wie deutlich die Zuwächse sind. Das hat zwei Ursachen: Zum einen hat Deutschland in den letzten Jahrzehnten erreicht, dass ein sympathisches Bild von Deutschland entstanden ist. Das Zweite ist aber klar: es ist die Wirtschaftsstärke Deutschlands, die viele junge Leute Deutsch lernen lässt, weil sie sich damit Berufschancen ausrechnen, nach Deutschland kommen, hier arbeiten oder lernen. Auch die Exportindustrie in Indien oder China braucht Deutsch sprechende Mitarbeiter. Gründe sind also Sympathie für die Sprache und Aussicht auf eine berufliche Existenz.

RV: Wir leben in einer Welt auf der Suche nach einer Ordnung, aber auch in einer Welt, die immer enger zusammenwächst und deren Gegensätze immer mehr aufeinanderprallen. Was hat Kultur- und Bildungspolitik damit zu tun?

Lehmann: Das Kennzeichen unserer Zeit ist gegenseitige Abschottung, und das ist eine gefährliche Entwicklung. Das Nicht-Kennen des anderen führt zu Klischees und Stereotypen, die gefährlich werden können. Deshalb glaube ich, dass die Kultur eines kann, das sonst kein gesellschaftliches Element kann, sie kann da, wo Stillstand ist, wieder Prozesse anstoßen, kann Alternativen aufzeigen. Und besonders wichtig: Kultur kann zum Staunen veranlassen, sie kann überraschen. Und wir brauchen Überraschungen um festgefahrene Bilder zu öffnen.

RV: In Ihrem Arbeitsbereich spielen religiöse Themen keine zentrale Rolle, aber auf den Wegen Ihres Kulturauftrages stoßen Sie sicherlich auf Themen, die die Religion betreffen. Menschenrechte, Jugendschutz, Klimawandel, Gerechtigkeit und Friede stehe permanent im Vordergrund auch Ihrer Sichtweise und vielfältigen Kulturinitiativen und somit an der Seite der Kirche und auch päpstlicher Forderungen. Wie sehen Sie das Christentum in der heutigen Welt? Welche großen Fragen der Religion stehen heute im Vordergrund der Gesellschaft? Wie steht die Kultur von heute zu transzendenten Werten, zu bleibenden, überpersönlichen Werten?

Lehmann: Wir glauben als Goethe-Institut daran, dass die Eigenständigkeit der Menschen ein ganz wichtiges Element ist, um die globalen Probleme zu lösen. Wir setzen sehr viel auf besseren Zugang zu Bildung. Das ist einer unserer Schwerpunkte in den Entwicklungs- und Schwellenländern, dass wir insbesondere die Bildungszugänge, ob im konservativen oder digitalen Bereich, in vielfältiger Weise für die jungen Leute öffnen. Und da haben wir noch einmal einen Schwerpunkt gesetzt für junge Frauen, die wir als für die Bildung Benachteiligte in der Welt erleben, dieses zu ermöglichen und auch die Emanzipation der Frau in den Gesellschaften stärker zu betonen. Wir glauben, dass dadurch auch eine Stabilität in Krisenländern erreicht wird, die bislang nicht ausgeschöpft ist. Und Bildung ist der entscheidende Ansatz, die Selbstständigkeit der Menschen zu fördern.

RV: Gegenwärtig sind so viele Menschen auf der Flucht wie noch nie zuvor. Die Ursachen sind Kriege, Konflikte, Klimawandel, Umweltverschmutzung, Naturkatastrophen und die immer größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich. Papst Franziskus weist die verantwortlichen Politiker in seiner Enzyklika „Laudato si“ auf all diese Missstände hin. Wie beurteilen Sie das moderne Lehrschreiben des Papstes?

Lehmann: Ich glaube, dass der Papst hier einen ganz entscheidenden Ansatz gefunden hat, indem er nämlich deutlich macht, dass nicht alle Menschen Nomaden sind, dass Heimat ein ganz wichtiger Ansatz ist, der gefördert werden muss. Deshalb glaube ich auch, dass wir richtig liegen, wenn wir nicht nur eine kulturelle oder künstlerische Zukunft für die Menschen, das ist unser Auftrag im Kulturbereich, finden, sondern auch eine ökonomische Zukunft. Dazu gehört eben auch eine Infrastruktur, die es Menschen ermöglicht, ihre Talente und Möglichkeiten, die sie haben, so zu fördern, dass sie damit auch ein Auskommen haben und eine Stabilität in der Politik und Gesellschaft. Die Möglichkeit Heimat zu erleben und zu stärken, ist für uns ein ganz entscheidender Punkt. Auch Fluchtursachen zu betrachten ist wesentlich und nicht nur die Möglichkeiten der Unterstützung zu sehen, sondern sie Eigenständigkeit in den Ländern auch in dieser Weise wahrzunehmen.

RV: Wenige deutsche Kulturbotschafter haben sich so intensiv mit Symptomen unserer Zeit befasst wie Sie. Haben Sie als Zeitzeuge großer Entwicklungen in Europa und darüber hinaus in der Welt eine Definition für unsere Epoche?

Lehmann: Was mir wichtig wäre ist, dass wir den Begriff der Aufklärung ersetzen durch den Begriff der Emanzipation. Ich glaube, dass die Eigenständigkeit ein wesentliches Element ist, das die Welt verändern kann im positiven Sinne. Aber die Umbruchsituation, die wir derzeit haben, diese Emanzipation als Begriff unseres Jahrhunderts zu nehmen, ist sehr schwierig. Ich lasse aber dennoch die Hoffnung nicht fahren und glaube, dass wir über emanzipierte Menschen eine Chance haben, die Gesellschaften aufzubauen.

RV: Es spricht sich herum, dass Sie außer in Ihre Frau in eine sehr betagte Dame aus dem alten Ägypten verliebt seien, in die Weltschönheit der Pharaonin Nofretete, die Sie in Berlin immer wieder besuchen. Was macht sie denn so schön?

Lehmann: So schön macht sie, dass sie ein allgemeines Schönheitsideal ist, das offensichtlich die Menschen verstehen, dass sie eine Eigenschaft hat, die sie auf der einen Seite entrückt, auf der anderen Seite aber auch ein menschliches Maß hat. Beides, Entrücktheit und menschliches Maß, macht Nofretete so besonders.

RV: Durch Ihren beruflichen Auftrag befinden Sie sich am Puls der Zeit, am Fenster der Welt wie wenige andere Kulturmanager. Welches Vermächtnis wollen Sie an künftige Generationen weitergeben?

Lehmann: Ich würde ihnen mit auf den Weg geben, dass diejenigen, die unser Leben in den nächsten Jahren bestimmen, nämlich die jungen Menschen, erkennen, dass Gewinnstreben und das ausschließliche Betrachten des Nützlichen als Wert nicht ausreicht. Es kommt darauf an, dass man sich Freiräume erschafft, die das Menschsein wirklich zum Inhalt hat. Wir haben derzeit eine Tendenz, dass alles nur noch nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten gesehen wird. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wieder menschliche Nähe geschaffen wird, dass Toleranz geschaffen wird und dass wir ein gegenseitiges Verständnis füreinander aufbauen. Solidarität würde ich den jungen Leuten auf den Weg mitgeben. Diese Solidarität ist die einzige Garantie, dass die Zukunft auch möglich ist.

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12. November 2017, 18:41