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Blick auf den Vatikan Blick auf den Vatikan 

Radio Vatikan: Ein Abgesang

In der Nacht von Samstag auf Sonntag schlägt seine letzte Stunde: Radio Vatikan gibt es ab null Uhr nicht mehr. Stattdessen regiert von da an „Vatican News“, etwas ganz Neues, Multimediales.

Stefan von Kempis - Vatikanstadt

Nach über achtzig Jahren wird Radio Vatikan – der Name ist jedenfalls mir so vertraut, dass ich ihn, anders als das Neue, nicht in Anführungszeichen setzen mag – nach über achtzig Jahren also wird Radio Vatikan damit Geschichte. Eine schöne Geschichte.

Die Stimme aus dem Kasten

Ich finde, dieser kleine Sender verdient einen Abgesang. Denn vielen Menschen hat er viel bedeutet. Als er startete, war er Avantgarde, eine der ersten Stimmen im Äther. Vielleicht haben Sie mal diese historischen Filmaufnahmen in Schwarzweiß gesehen, wie Pius XI. zu Beginn der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts den Sender in den Vatikanischen Gärten einweiht? Das Mikro, in das er dabei sprach, steht, nein hängt, in unserem Palazzo zwischen Via della Conciliazione und Engelsburg in einer Vitrine: Ganz klein, ganz zerbrechlich sieht es aus. Generationen von Besuchern haben es bestaunt.

Aus diesen Schwarzweiß-Zeiten kommt Radio Vatikan her. Es gibt Filmaufnahmen von einem dicken Radiogerät auf dem Altar einer Kirche; die Kirche ist voll, die Menschen beugen sich vor, um aus diesem Kasten zum ersten Mal die Stimme ihres Oberhaupts aus Rom zu hören. Auf Latein, übrigens. Die Szene erinnert mich immer an das Ende des Zweiten Weltkriegs in Japan, als die Menschen dort zum ersten Mal ihren göttlichen Tenno sprechen hörten. Dabei soll es zu vielen hysterischen Szenen gekommen sein – in Japan, nicht anderthalb Jahrhunderte vorher in der katholischen Welt. Doch auch für die Katholiken rund um den Globus war diese Stimme ihres Oberhauptes aus diesem Kasten etwas ganz Besonderes.

Pius und der Kabelsalat

Anfangs muss Radio Vatikan so etwas wie eine Familie gewesen sein: ein paar Jesuiten, ein paar Techniker in den beschaulichen Gärten hinter der Kuppel des Michelangelo. Einen dieser ersten Techniker, Pietro, habe ich noch gekannt, er ist erst vor kurzem verstorben; er erzählte aus versunkenen Zeiten. Wie er mal nachts hoch in den Apostolischen Palast zu Pius XII. gerufen wurde, weil der mithilfe von Tonbändern Englisch lernte – wir sind im Zweiten Weltkrieg – und einen Bandsalat angerichtet hatte, den er, Pietro, bereinigen sollte. Überhaupt, der ganze Vatikan wirkte rückblickend wie eine Art Familie. Den jeweiligen Papst sah man immer mal wieder in den Gärten spazieren oder in eines der Büros hereinkommen, um sich ein bisschen mit den Leuten zu unterhalten. Während über Europa Bomben regneten (eine davon ging allerdings auch in den Vatikanischen Gärten nieder), herrschte im frühen RV, von dem Pietro erzählte, eine Idylle – jedenfalls rückblickend.

Dabei engagierten sich die Macher des Senders durchaus. Versuche des deutschsprachigen Programms (das eines der ersten Sprachenprogramme überhaupt war), zu Kriegsbeginn über Verbrechen der Wehrmacht im besetzten Polen zu berichten, wurden zwar auf Intervention Berlins beim Heiligen Stuhl schnell zum Schweigen gebracht. Doch die ganze Kriegszeit hindurch half Radio Vatikan kräftig dabei, Verschwundene oder Kriegsgefangene zu finden und mit ihren Familien in Kontakt zu bringen. Das sind die ersten deutschen Tonaufnahmen, die wir hier in unseren Archiven vom deutschsprachigen RV haben.

Eine Cola für Johannes Paul

Aber ich will Sie nicht allzu lange mit den ganz alten Zeiten langweilen: Als ich 1989 zum ersten Mal zu Radio Vatikan kam, gab es schon Farbfernsehen, aber die Berliner Mauer stand noch. Die einstmals fünf Sprachenprogramme hatten sich multipliziert, dank dem polnischen Papst Johannes Paul sendete der Vatikan-Rundfunk auch in vielen östlichen Zungenschlägen. Wir arbeiteten noch mit Bandmaschinen (aber nicht mehr denselben wie Pius); Internet gab’s noch nicht. Auf mancher Papstreise musste man, wenn man als Korrespondent mit dabei war, im Hotel den Telefonhörer aufschrauben und ein Kabel daran anschließen, um vom Bandgerät aus ein Interview nach Rom zu überspielen… Tempi passati.

Radio Vatikan – das waren viele Gesichter. Viele Freundschaften. Noble Jesuiten, allen voran Pater Federico Lombardi, der eine Zeitlang auch der Pressesprecher von Benedikt XVI. und Franziskus war. Viele schöne Erinnerungen von Papstreisen (Johannes Paul, der mit aufgeknöpfter Soutane mit afrikanischen Bischöfen zusammensaß und einen unserer Techniker losschickte, ihm doch mal bitte eine Cola zu holen). Das waren interessante Interviews mit Menschen wie Kardinal Ratzinger, der in unseren Studios oft stundenlang interessante Vorträge aufsprach (einmal saß ich ihm dabei gegenüber und musste immer die Blätter so umdrehen, dass sie nicht knisterten.) Das war, alles in allem, eine innere Haltung der Gelassenheit und der Neugier auf die Welt. Eine schöne Mischung.

Alles anders – alles beim Alten

Die Neugier haben wir noch, die Gelassenheit ist auf dem Weg der vatikanischen Medienreformen hin zum Neuen etwas ins Hintertreffen geraten. Aber es hilft nichts, wir müssen den Sprung in die digitale und hektische Medienwelt von heute jetzt machen. Radio Vatikan reloaded. Es heißt künftig anders, aber viel vom alten Geist bleibt hoffentlich erhalten. Unsere Mission ist jedenfalls unverändert: vom Papst zu erzählen, vom Vatikan, von der Kirche im deutschen Sprachraum und in der Welt. Wie heißt es im italienischen Klassiker „Gattopardo“ – es muss sich alles ändern, damit alles so bleibt wie’s ist.

Eine kleine Genugtuung bleibt uns übrigens: Wir verlieren zwar den Namen Radio Vatikan. Aber „Radio Vaticana Italia“ gibt es auch künftig. Das ist der letzte rote Faden, der uns mit unserer (großen und kleinen, je nach Blickwinkel) Vergangenheit verbindet.

Auf Wiederhören, Radio Vatikan! Es war eine schöne Zeit.

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14. Dezember 2017, 16:00