Papst zu Staatsanwälten: „Justiz muss frei von Einflüssen sein“
„Eine edle und heikle Mission“: Zu dieser sind laut Franziskus die Mitglieder des Obersten Rates für das italienische Gerichtswesen gerufen. Das Selbstverwaltungsorgan der italienischen Justiz ist verantwortlich für die Einsetzung, Beförderung und Abberufung von Staatsanwälten und Richtern, die in der ordentlichen Gerichtsbarkeit tätig sind. Es garantiert also „die Unabhängigkeit der Richter und Staatsanwälte“, die im „Dienst des Volkes“ Recht sprechen, wie auch Franziskus in seiner Rede hervorhob: „Das Volk verlangt Gerechtigkeit, und Gerechtigkeit braucht Wahrheit, Vertrauen, Loyalität und Reinheit der Ziele.“
Das „Hören auf den Schrei der Stimmlosen“, die Gerechtigkeit forderten, sei zugleich ein „Dienst zugunsten der Würde der menschlichen Person und des Gemeinwohls“, würdigte Franziskus die Arbeit seiner Gäste. Doch er warnte auch: „Wenn sich die Großmächte zur Selbsterhaltung verbünden, zahlen die Gerechten für alle“. Das sei auch beim Prozess gegen Jesus so gewesen: „Das Volk fordert, den Gerechten zu verurteilen und den Übeltäter freizulassen“, Pilatus frage sich zunächst, was der Angeklagte falsch gemacht habe, wäscht dann aber „seine Hände in Unschuld“, wie es in den Evangelien heißt. Franziskus nannte den Richtern und Staatsanwälten mehrere Wege, um zu gerechten Urteilen zu kommen.
„Die Glaubwürdigkeit des Zeugnisses, die Liebe zur Gerechtigkeit, die Autorität, die Unabhängigkeit von anderen konstituierten Gewalten und ein loyaler Pluralismus der Positionen sind die Gegenmittel, um politische Einflüsse, Ineffizienzen und verschiedene Unredlichkeiten nicht zuzulassen.“
Ein glaubwürdiges Zeugnis
Als Beispiel verwies Franziskus auf den italienischen Anti-Mafia-Richter Rosario Livatino, „den ersten seligen Richter in der Geschichte der Kirche“. Der Papst hatte ihn am 9. Mai 2021 seliggesprochen. Livatino habe Strenge und Konsequenz einerseits mit Menschlichkeit auf der anderen Seite in seine Arbeit eingebracht und damit „ein glaubwürdiges Zeugnis“ hinterlassen:
„Das Streben nach Frieden, das Wahrheit und Freiheit voraussetzt, muss stets von Gerechtigkeit begleitet sein. Möge der Gerechtigkeitssinn, der von der Solidarität mit den Opfern der Ungerechtigkeit und dem Wunsch nach der Verwirklichung eines Reiches der Gerechtigkeit und des Friedens genährt wird, in Ihnen, verehrte Damen und Herren, nicht erlöschen.“
Wie die heilige Katharina von Siena gelehrt habe, so der Papst im Verlauf seiner Ansprache, „muss man, um zu reformieren, zuerst sich selbst reformieren“, weshalb „keine politische Reform der Justiz das Leben derjenigen verändern kann, die sie verwalten, wenn man nicht zuerst vor seinem Gewissen entscheidet, ,für wen‘, ,wie‘ und ,warum‘ man Gerechtigkeit“ übe:
„Die Frage, für wen man Recht sprechen soll, beleuchtet immer eine Beziehung zu diesem ,Du‘, diesem ,Gesicht‘, dem eine Antwort gebührt: die Person des Täters, der rehabilitiert werden soll, das Opfer mit seinem Schmerz, das begleitet werden soll, diejenigen, die über Rechte und Pflichten streiten, der Justizmitarbeiter, der verantwortlich handeln soll, und ganz allgemein jeder Bürger, der aufgeklärt und sensibilisiert werden soll.“
Gegenmittel gegen Rache und Vergessen
Aus diesem Grund sei die „Kultur wiederherstellenden Gerechtigkeit“ das „einzig wahre Gegenmittel gegen Rache und Vergessen“, weil sie „auf die Wiederherstellung der zerbrochenen Verbindungen“ abziele und „die Rückgewinnung des mit dem Blut des Bruders befleckten Landes“ ermögliche, betonte Franziskus mit Blick auf die biblische Geschichte von Kain und Abel. Diesen Weg habe er bereits in der Enzyklika Fratelli tutti als „Voraussetzung für Brüderlichkeit und soziale Freundschaft“ aufgezeigt, so Franziskus.
Hier stellte der Papst auch einen Zusammenhang zur aktuellen Epoche der Globalisierung her, in der „die Menschheit immer mehr miteinander verbunden und doch immer mehr in eine Vielzahl von existenziellen Einsamkeiten zersplittert“ sei: In diesem Zusammenhang gelte es, sich auf die biblische Vision der „brüderlichen Menschheitsfamilie“ zurückzubesinnen, in der „die Anerkennung des anderen als Bruder ein Werk ist, an dem gemeinsam und unablässig gearbeitet werden“ müsse, in dem Wissen, „dass der Friede auf Gerechtigkeit“ beruhe.
Dafür kämpfen, Ungerechtigkeiten nicht wachsen zu lassen
Dabei räumte Franziskus ein, dass die Frage danach, „wie“ Recht geübt werden müsse, immer mit Reformen verbunden sei: „Das Johannesevangelium lehrt uns in Kapitel 15, die toten Äste zu beschneiden, ohne den Baum der Gerechtigkeit zu amputieren, um Machtkämpfe, Klientelismus, verschiedene Formen der Korruption, Nachlässigkeit und ungerechte Einkommenspositionen zu bekämpfen. Sie sind sich dieser Probleme und hässlichen Situationen sehr wohl bewusst und müssen oft hart darum kämpfen, sie nicht wachsen zu lassen.“
Bei der Frage nach dem „Warum“ verweist Franziskus auf die Bedeutung der Tugend der Gerechtigkeit: diese stelle ein „inneres Gewand für die Richter“ dar, aber „nicht als ein Kleid, das gewechselt werden muss, oder eine Rolle, die erobert werden“ müsse, sondern als den eigentlichen Sinn der persönlichen und sozialen Identität.
(vatican news - cs)
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