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Menschen in der Zeit: Barbara Nath-Wiser

Die aus Linz in Österreich stammende Ärztin Barbara Nath-Wiser hat in Wien Medizin studiert und lebt seit 30 Jahren in Indien. In der Nähe der tibetischen Grenze gründete und betreibt sie ein Krankenhaus.
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Aldo Parmeggiani - Vatikanstadt

 

Inmitten der tausende von Jahren alten Tradition des tibetischen Buddhismus drückt Barbara Nath-Wiser der indischen Region Tag für Tag seit über 30 Jahren ihren ganz persönlichen Stempel auf. Sie kam nach Abschluss ihres Medizinstudiums nach Indien auf der Suche nach einer Yoga-Ausbildung und voller Neugier auf diese geheimnisvolle Welt. Mit 100 Dollar im Rucksack ließ sie ihre besorgte Mutter mit dem Versprechen zurück: „In einem halben Jahr bin ich wieder zurück.“ Aber es kam ganz anders. In Indien lernte sie ihren späteren in der Zwischenzeit verstorbenen Ehemann und Lehrer Krishan Nath Baba kennen, das Ehepaar bekam zwei Kinder. Indien ist für die engagierte Medizinerin längst zur zweiten Heimat geworden. - 2015 wurde ihr eine große Ehre zuteil: Sie erhielt vom österreichischen Bundespräsidenten Heinz Fischer das goldene Verdienstkreuz der Republik Osterreich für hervorragende Sozialarbeit. In was diese besteht erfahren wir im heutigen Gespräch mit Barbara Nath-Wiser.

VN: Indien ist voller Gegensätze, eine rasant wachsende Wirtschaftsmacht und gleichzeitig ein Entwicklungsland. Sie leben als Ärztin im nordindischen Bundesstaat Himachal Pradesh, wo sie die von ihnen gegründete Landklinik leiten, in der Sie tausende Menschen, Männer, Frauen und Kinder versorgen, die krank sind oder unter der Armutsgrenze leben. Wie wirken sich die tiefen Gegensätze Indiens im Blick auf ihre langjährige Erfahrung auf das Gesundheitswesen dieses riesigen Landes heute aus?

Nath-Wiser: Leider wirken sich die Gegensätze zwischen arm und reich sehr stark auf das Gesundheitswesen aus. Es ist nämlich in den letzten Jahren der private sector, also die Privatkliniken wie aus dem Boden geschossen und die armen Leute glauben natürlich, dass sie in einem Privatspital besser versorgt werden. Das stimmt jedoch überhaupt nicht, weil die Privatspitäler sehr gewinnorientiert arbeiten. Im Gegensatz dazu gibt es die Government-Spitäler, die ausgezeichnet sind, hervorragende Ärzte beschäftigen. Doch dort gibt es lange Wartezeiten. Jeder Arzt versorgt zwischen 100 und 150 Patienten. Ich will mit meiner Klinik eine alternative Behandlung für arme Leute bieten, die sich ein Privatspital nicht leisten können.

VN: Wie kamen Sie auf die außerordentliche Idee ein eigenes Krankenhaus in einer von Armut gekennzeichneten Region von Indien zu gründen? Was war die Initialzündung für diesen starken Wunsch, Armen zu helfen?

Nath-Wiser: Ich war verheiratet mit einem Jogi – Jogi, das sind freischaffende Mönche – und mein Mann hat mir immer gesagt, Du sollst für die Armen arbeiten. Ich habe mich daran gehalten. Es hat mich auch fasziniert. In Europa, wo ich studiert habe, gab es genug Ärzte. Da habe ich mir gedacht, ich gehe mit meinem Mann, lebe in dem Dorf meines Mannes und gründe dort ein Spital für die armen Leute.

VN: Ihr Traum von einer eigenen ganzheitlichen Klinik mit dem Schwerpunkt Homöopathie und Akupunktur ging in den 90er Jahren in Erfüllung. Bevor es soweit war, mussten Sie viele Hürden überwinden. Welche war die schwierigste?

Nath-Wiser: Die schwierigste war als Frau und auch als Ausländerin anerkannt zu werden. Mein Mann ist leider sehr früh gestorben, nämlich 1986. Damals habe ich noch in einer Armenklinik gearbeitet und habe mir dann selber meine eigene Klinik mit österreichischer Hilfe etablieren können. Aber die Leute haben mir nicht vertraut. Nach 30 Jahren habe ich mir das Vertrauen der Bevölkerung erarbeitet, auch weil ich neben der Schulmedizin auch Homöopathie und Akupunktur praktiziere. Das sind Disziplinen, die oft hilfreich sind, wenn die Schulmedizin nicht mehr helfen kann.

VN: Als Laie stelle ich mir vor, dass aufgrund des akuten Ärztemangels in medizinischen Einrichtungen schlechte hygienische Bedingungen, saubere Trinkwasserversorgung zu den Hauptsorgen Ihres täglichen Einsatzes gehören. Wie sieht die Lage in dem von ihnen gegründeten und geleiteten Nishtha-Zentrum aus?

Nath-Wiser: Wir stehen sehr gut da. Ich habe zwei Kolleginnen: seit 30 Jahren arbeite ich mit meiner Kollegin Doktor Thapa zusammen. Außerdem arbeitet eine Jungärztin mit uns, die beschlossen hat für weniger Geld mit uns zu arbeiten. Sie ist eine Gold-Medaillenpreisträgerin, also wirklich bestens ausgebildet. Aber sie ist interessiert an Homöopathie und Akupunktur. Gegen die schlechten hygienischen Bedingungen versuchen wir durch Aufklärungsarbeit etwas zu unternehmen. Das ist auch sehr erfolgreich. Zweimal in der Woche fährt unser Team in entlegene Gegenden und betreibt Aufklärungsarbeit. Was das Trinkwasser betrifft, haben wir in unserem Dorf fünf verschiedene Stellen, wo wir Wasserfilter eingerichtete haben. So ist die Trinkwasserversorgung in unserem Dorf sehr gut.

VN: Mit welchen Spendengeldern können Sie verbindlich rechnen, um Ihre Mission ein Krankenhaus in einer von Armut gezeichneten Region führen zu können. Wie viel Fachpersonal steht Ihnen zur Verfügung, um ein so breit gefächertes Versorgungsgebiet wie Ihres leiten zu können?

Nath-Wiser: Die Spendengelder kommen hauptsächlich aus Österreich. Ich mache das ja seit 30 Jahren, dass ich jedes Jahr nach Österreich, nach Wien komme, um meine Spender zu orientieren, was passiert ist. Das mache ich über Vorträge. Ich bin immer sehr dankbar, wenn Leute einen Dauerauftrag spendieren. Das ist das Geld, mit dem wir rechnen können. Wir haben im Moment bereits 25 Mitarbeiter. Wir haben nicht nur die Klinik, sondern auch andere Programme laufen. In der Klinik sind insgesamt 8 Leute beschäftigt, das inkludiert auch einen Pharmazisten, einen Helfer und die Fahrer.

VN: Neben der Gesundheitsversorgung älterer Menschen und Kindern stehen in ihrem Nishtha-Zentrum auch die Jugendlichen im Fokus ihres Wirkens. Was können Sie jungen Menschen an Bildungsmöglichkeiten anbieten und wie geben sie das weiter?

Nath-Wiser: Das sind die Programme, die in unserem Community-Center laufen. Wir haben dort jeden Tag von drei Uhr bis fünf Uhr nachmittags den so genannten Kids Club. Da kommen die Kinder von der Government-Schule zu uns. Wir bieten Nachhilfeunterricht für Kinder an, die Lernschwierigkeiten haben Was sich sehr großer Beliebtheit erfreut, ist unsere Bücherreihe. Wir haben sehr viele Bücher besonders für Kinder. Es ist mir ein Anliegen, dass Kinder mit Freude lesen. Durch unser Computerprogramm ermöglichen wir Kindern von der Government-Schule, die keinen Zugang zum Computer haben, einen Computerunterricht. Dann haben wir ein Scholarshop-Programm für Jugendliche aus armen Verhältnissen, die sich eine Ausbildung nicht leisten können, die aber dennoch aufs College gehen wollen. Das sind im Moment 14 Kinder, die wir so unterstützen.

VN: Sie leben und wirken im Bundesstaat Himachal Pradesh, der teilweise stark ländlich geprägt ist. Hier wird die größte Sprache Indiens, nämlich Hindi gesprochen. Wie schwierig war es für Sie in ihrem Beruf diese Sprache und möglicherweise auch mehrere Dialekte zu beherrschen?

Nath-Wiser: Hindi ist eine wunderschöne Sprache. Aber beherrschen tue ich sie leider noch immer nicht, obwohl ich doch sehr gut Hindi spreche. Hindi kann man nie auslernen. Was die Dialekte betrifft, habe ich Hilfe in der Klinik. Wenn zum Beispiel Nepals, nepalesische Wanderarbeiter, kommen, dann ist Dr. Thapa, die eigentlich ethnisch eine Nepali ist, zur Stelle. Wenn Leute mit einem sehr starken ländlichen Dialekt kommen, dann hilft mir unsere Putzfrau. Sie ist auch schon seit 20 Jahren mit mir zusammen und weiß ganz genau, bei solchen Fragen was gemeint ist.

VN: In ihrer Klinik treffen sich Menschen aller Glaubensrichtungen wie beurteilen sie als gebürtige Christin den Einfluss verschiedener Religionen auf die Menschen im allgemeinen.

Nath-Wiser: Die Religionen, mit denen ich zu tun habe, sind der Hinduismus und der Buddhismus. In der Nähe wohnt seine Heiligkeit der Dalai Lama und da haben wir natürlich auch viele buddhistische Patienten. Der Gedanke der Reinkarnation ist in dieser Kultur sehr verbreitet. Die Leute glauben daran, dass nach dem Tod der Körper dahingeht; der Geist sich aber einen neuen Körper nimmt. Das hängt sehr stark mit dem Gesetz des Kharma, also von Ursache und Wirkung zusammen. In meinem Beruf ist es hilfreich mit dem Gedanken der Reinkarnation zu arbeiten. Zum Beispiel betreuen wir sehr viele behinderte Kinder und da kann man den Eltern erklären, dass aus einem früheren Leben wahrscheinlich etwas übergeblieben ist. Nun besteht die Möglichkeit auch für die Eltern sich weiterzuentwickeln, damit diese Seele im nächsten Leben einen besseren Start hat. Das ist ein umfangreiches Gebiet. Da könnte man lange darüber reden, aber der Glaube der Reinkarnation gibt sehr viel Hoffnung.

VN: Wie erleben Sie von Indien aus die Tätigkeit und den Wirkungskreis von Papst Franziskus? Er hat zwar Indien noch nicht besucht, wird es aber mit Sicherheit tun. Werden Sie die Möglichkeit haben, ihn zu sehen oder möchten Sie das überhaupt?

Nath-Wiser: Ich verehre Papst Franziskus sehr. Das ist eigentlich der erste Papst, den ich wirklich verehre und dessen Schriften ich auch gelesen habe. Ich bin eine große Anhängerin des Papstes. Wenn er nach Indien kommt und ich die Gelegenheit habe ihn zu sehen, werde ich das natürlich machen. Obwohl es in unserer Gegend ganz wenige Christen gibt – vielleicht zwei oder drei Familien, mit denen ich eigentlich keinen Kontakt habe. Durch meinen christlichen Background war ich natürlich sehr an seiner Persönlichkeit interessiert.

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15. Januar 2018, 13:44